Eine Königin im Wasser - die Riesenseerose Victoria

In Südamerika heimisch, von einem österreichischen Botaniker entdeckt und nach einer berühmten britischen Herrscherin benannt: Die Riesenseesore Victoria hat als wahrer Publikumsmagnet auch ihren Weg in die Palmenhäuser der Bundesgärten gefunden. Bis heute wird sie dort mit viel Fingerspitzengefühl kultiviert.

Pflanzenliebhaberinnen und -liebhaber wissen: Durchströmt ein intensiv süßlicher Geruch ein Palmenhaus mit Wasserbecken, steht mit großer Wahrscheinlichkeit ein ganz besonderes Schauspiel bevor – die Blüte der Riesenseerose Victoria. Wir haben uns im Innsbrucker Palmenhaus auf die Spuren dieser tropischen Schönheit und ihrer aufwändigen Kultur gemacht.

Ein blühender Superstar

Zu Ehren der englischen Monarchin erhielt die Riesenseerose von dem Botaniker John Lindley den imperialen Namen „Victoria“. Tatsächlich „entdeckt“ wurde sie allerdings schon ein paar Jahrzehnte zuvor: Es war der österreichische Forschungsreisende und Universalgelehrte Thaddäus Haenke, der um 1800 am Río Mamoré, einem Nebenfluss des Amazonas, als erster Europäer auf die riesige Wasserpflanze gestoßen war. Im Laufe des 19. Jahrhunderts fand sie dann ihren Weg in die Palmenhäuser der europäischen Metropolen, wo sie als Statussymbol kultiviert wurde und als exotische Schönheit bis heute bestaunt wird.

Mit ihren riesigen Blättern, die bei richtiger Gewichtsverteilung problemlos ein Kleinkind tragen können, blieb die Victoria bis in die 1970er-Jahre – vor allem während ihrer Blüte – ein echter Publikumsmagnet. Auch vor dem Innsbrucker Palmenhaus bildeten sich regelmäßig Warteschlangen und das Palmenhaus blieb zu ihrer Blütezeit nicht selten bis Mitternacht geöffnet. In Zeiten, in denen Fernreisen für den Großteil der Bevölkerung noch unerschwinglich waren, stellte ein Besuch im Glashaus mit seinen tropischen Temperaturen und exotischen Pflanzen einen Ausflug in eine andere, unbekannte Welt dar. Auch wenn die Zeiten des Massenansturms vergangen scheinen, fasziniert die Victoria noch immer und lockt gerade zur Blütezeit immer noch zahlreiche Menschen an.

Die Schönheit der Vergänglichkeit

Die Gattung Victoria gehört zu den Seerosengewächsen (Nymphaeaceae) und entwickelt kreisrunde und auf der Unterseite mit Stacheln besetzte Blätter. Stabilität und Schwimmfähigkeit verdanken diese einem leistenförmigen Stützgewebe mit luftgefüllten Hohlräumen auf der Blattunterseite.

Unterteilt wird die Gattung Victoria in zwei Arten: die Victoria amazonica (Syn. Victoria regia) und die Victoria cruziana (Syn. Victoria trickeri). Während sich erstere in etwas wärmerem Wasser mit etwa 32 °C wohl fühlt und bis zu drei Meter große Blätter sowie etwa 40 Zentimeter große Blüten ausbildet, bleiben die Blätter der Victoria cruziana mit bis zu zwei Metern etwas kleiner, so wie die Blüte mit etwa 25 Zentimetern. Auch bei der Wassertemperatur braucht es letztere mit 28 bis 30 °C nicht ganz so warm, was wohl an ihrer Herkunft aus etwas kühleren Gefilden an der Grenze zwischen Argentinien und Paraguay liegt.

Die Blüte der Victoria ist ein kurzes, aber eindrucksvolles Schauspiel: Sie öffnet sich mit Einbruch der Dämmerung in Weiß und verströmt in der ersten Nacht einen süßlichen Duft, der Käfer anlockt. Ist ein Käfer dann in das Innere der Blüte gelangt, schließt sie sich und hält ihn bis zum nächsten Abend gefangen. Dann öffnet sich die Blüte wieder – jene der Victoria amazonica in Rot und jene der Victoria cruziana in Rosa – und lässt den Käfer wieder frei. Mit Blütenstaub bedeckt fliegt der Käfer dann zur nächsten weißen Blüte und bestäubt so die Seerose. Nachdem die Blüte das zweite Mal aufgegangen ist, schließt sie sich wieder und sinkt unter die Wasseroberfläche, wo sie braune, erbsengroße Samen heranreifen lässt. Es scheint ganz so, als ob wahre Schönheit unweigerlich mit ihrer eigenen Vergänglichkeit zusammenhängt.

Die Kultur im Palmenhaus Innsbruck

Im Innsbrucker Palmenhaus der Bundesgärten wird meistens die Victoria cruziana kultiviert:

Begonnen wurde damit 1965, nachdem ein Jahr zuvor ein entsprechendes Becken eingebaut wurde. Anstelle eines Käfers kümmert sich hier ein Gärtner händisch um die Bestäubung. Er gibt die bestäubte Blüte in einen Strumpf, sobald sie versinkt und aus ihr eine Samenkapsel wird. So ist sichergestellt, dass man die Samen auch wiederfindet. Die Samen werden dann im Wasser ohne Lichteinfall und bei Zimmertemperatur gelagert. So bleiben sie bis zu zehn Jahre keimfähig.

Im Jänner wird der so gewonnene Samen in kleinen Tontöpfen ausgesät, welche in eine mit Wasser gefüllte Wanne gestellt werden. Sobald die Töpfe durchwurzelt sind, müssen die jungen Pflanzen umgetopft werden.

 

In der ersten Märzhälfte wird dann das Victoriabecken wieder für das Auspflanzen vorbereitet: Nach dem Reinigen werden die Pflanzenkisten aufgestellt und mit einem Substrat aus Grunderde, altem abgelagerten Kuhdung, Sand und Hornspänen gefüllt. Anschließend wird das Becken mit Wasser aufgefüllt und beheizt. Bevor die Pflanzen gesetzt werden, muss das Becken noch einmal abgelassen und gereinigt werden. In der zweiten Märzhälfte wird dann die Victoria eingepflanzt. Sie beginnt dann alle zwei bis drei Tage ein neues Blatt zu entwickeln, wobei jedes etwas größer wird. Ungefähr ab dem 20. Blatt erscheint die erste Blüte. Im Jahr 2018 brachte die Victoria von April bis September stolze 48 Blüten hervor.

Helmut Wahler