Königinnen und Mörder in Schönbrunns Glashäusern

In Schönbrunns Glashäusern sind viele außergewöhnlich schöne Pflanzen zu finden. Die Königinnen unter den Blumen sind jedoch die Orchideen. Sie kommen fast auf der ganzen Erde vor, auch in Österreich gibt es heimische Gattungen. Die größte Faszination geht jedoch von den tropischen Gattungen aus.

Wenn man sich eine Orchideenblüte anschaut, erkennt man schnell, warum wir Menschen sie als Königinnen bezeichnen. Die oftmals eleganten, großen und wohlriechenden Blüten dieser Pflanzengattung faszinieren Liebhaber schon seit langer Zeit. Aber auch sehr bizarre Blütenformen sind anzutreffen, da bei den Orchideen, mehr noch als bei vielen anderen Pflanzen, die Bestäuber Formgeber für die Blüten sind. Oftmals werden einzelne Orchideenarten ausschließlich von einer einzigen Insektenart bestäubt. Dies führt beispielsweise zu Blüten wie jene der Hummel-Ragwurz Ophrys holoserica, die wie ein Bienenweibchen aussieht und riecht. Mithilfe dieser Täuschung lockt sie verlässlich den richtigen Bestäuber, in diesem Falle eine liebestolle männliche Biene an.

Die Anzahl verschiedener Orchideen ist beinahe unüberschaubar. Man zählt etwa 25.000 Orchideenarten, die nahezu weltweit vorkommen, nur die arktischen Regionen und die Wüsten unseres Planeten sind ausgenommen. Etwa 80 % aller Orchideen sind in den Tropen heimisch, wo sie meist als Aufsitzer – sogenannte Epiphyten – auf Bäumen zu finden sind. Heute ist die beinahe allgegenwärtige Phalaenopsis mit Abstand die verbreitetste Orchidee und wird jedes Jahr millionenfach produziert und weltweit angeboten. Doch in früheren Jahrhunderten waren Orchideen etwas sehr Rares und Kostbares.

Die erste tropische, in Europa blühende Orchidee war Brassavola nodosa aus Südamerika, die in Holland im Jahre 1615 einen ersten Vorgeschmack auf die riesige Pflanzenfamilie lieferte. Einen gewaltigen Schub bekam die Orchideenkultur in Europa durch die Entdeckung der Cattleyen. Im Jahr 1817 erhielt der englische Pflanzenhändler William Cattley Orchideen aus Brasilien. Eine dieser Pflanzen blühte nach einem Jahr erstmals und wurde von Cattleys Freund John Lindley 1824 mit dem Namen Cattleya labiata  versehen. Diese Orchidee sorgte aufgrund ihrer lavendelfarbenen 15 Zentimeter großen Blüten für Aufsehen und löste das sogenannte Orchideenfieber aus. Die Begehrlichkeit nach diesen ungewöhnlichen Pflanzen nahm rasch zu und damit auch die erzielten Preise. Für Unternehmer lohnte es sich nun sogenannte Pflanzenjäger zu beschäftigen, die in den unzugänglichen Regionen der Tropen nach neuen Attraktionen suchten. Die natürlichen Vorkommen wurden daraufhin gnadenlos ausgebeutet.

Dieser Raubbau fand erst dann ein Ende, als die Möglichkeiten der Orchideenvermehrung verbessert werden konnten. Einen gewissen Anteil haben hier auch die Schönbrunner Orchideengärtner. Die ersten tropischen Orchideen fanden wohl 1759 Eingang in die Schönbrunner Sammlungen, als Nikolaus Joseph Jacquin von seiner Karibikreise zurückkehrte. In den Jahren um 1780 zählte man etwa 40 Arten in den Glashäusern. Im 19. Jahrhundert wurde dann gezielt durch Ankäufe die Sammlung großzügig erweitert. 1833 wurden durch Erzherzog Ludwig, der jüngere Bruder Kaiser Franz II. (I.), Orchideen für Schönbrunn bei Loddiges Nursery in England erworben. 1868 kam die Sammlung des Hortologen Johann Georg Beer hinzu. Ab 1889 sorgte der umtriebige spätere Hofgartendirektor Anton Umlauft für umfangreiche Erweiterungen der Sammlung vor allem durch Ankauf von privaten Orchideensammlungen. Bedeutende Zugänge waren die Aufsammlungen des Thronfolgers Franz Ferdinand bei seiner Weltreise 1892–1893, Zuwendungen des Rats Petkovics aus Batavia, dem heutigen Jakarta, und der Ankauf der Sammlung von Baron Hruby aus Peckau. So konnte der Bestand auf etwa 1.400 Arten erweitert werden.

Um 1880 wurden die Orchideen in einem recht bescheidenen Glashaus von gerade einmal 15x5 Metern kultiviert. Dieses Glashaus mussten sich die Orchideen allerdings mit Ixoren, Bromelien und fleischfressenden Pflanzen, nämlich Nepenthes, teilen. Durch die zahlreichen Zugänge musste Umlauft für modernere Glashäuser sorgen und sah sich nach einem geeigneten Kultivateur um, der in der Lage war, die neu erworbenen Pflanzenschätze zu pflegen. Er fand ihn in Anton Hefka, der im mährischen Holleschau (heute Holešov in Tschechien) seine Ausbildung in einer Handelsgärtnerei absolviert hatte. Als Neunzehnjähriger wurde er 1891 im Hetzendorfer Hofgarten beschäftigt, wechselte bereits 1892 nach Schönbrunn und 1893 zu den Orchideen. Ein Jahr später war er bereits selbstständiger Kulturleiter.

Diese schnelle Karriere war möglich, da sich Hefka durch herausragende Fertigkeiten und Kenntnisse auszeichnete. Hefka experimentierte ab 1898 mit dem Anbau von Orchideensamen auf Rindenstücken und Sägemehl von verschiedenen Hölzern. Orchideensamen haben für Gärtner die unangenehme Eigenschaft, dass sie in der Natur zwingend Mykorrhizapilze – Pilz und Pflanze gehen in einer Symbiose eine gegenseitig helfende Partnerschaft ein – zur Keimung benötigen. Vor Hefka war es in Schönbrunn lediglich möglich, Orchideen durch Teilung zu vermehren oder darauf zu hoffen, dass einige Samen im Topf der Mutterpflanze keimten. Dieser Umstand beförderte auch den stetigen Strom von Importpflanzen aus den Tropen, um den Bedarf zu stillen. Hefka schaffte es aber, die staubfeinen Samen auf Fichtensägemehl zur Keimung und in weiterer Folge in Rekordzeit zur Blüte zu bringen. Sein erster großangelegter Versuch im Jahr 1898 erbrachte 3.000 Jungpflanzen, von denen die ersten bereits 1901 bei der Reichs-Gartenbauausstellung in Wien blühend der Öffentlichkeit präsentiert werden konnten. Seine Erfolge waren so durchschlagend, dass man sich genötigt sah, Überschüsse zu veräußern. So wurden 1906 im Schönbrunner Sonnenuhrhaus 1.700 Orchideen durch das Wiener Auktionshaus Dorotheum zur Versteigerung gebracht. Bereits 1913 erreichte der Pflanzenbestand etwa 25.000-30.000 Stück, eine Zahl, die erst wieder um die Jahrtausendwende erreicht werden konnte. Hefka züchtete Dutzende neuer Orchideenhybriden, von denen leider durch Verluste in den beiden Weltkriegen nur mehr wenige erhalten sind. Eine dieser noch erhaltenen Schönheiten ist Cattleya × schoenbrunnensis.

Aber Hefka versuchte sich nicht nur an Orchideen. Auch den fleischfressenden Pflanzen widmete er seine Aufmerksamkeit. Von der Antike über das Mittelalter bis zu Charles Darwin verwirrten und faszinierten die aktivsten Mörder im Pflanzenreich: die Gruppe der Pflanzen, die gegen den göttlichen Willen die Herrschaft der Tiere über die Pflanzen umdrehten. Aus der Not und dem Mangel an Nährstoffen an ihrem natürlichen Standort haben Pflanzen begonnen, Tiere zu fangen, die Eiweiße aus den Kadavern herauszulösen und mit dieser Nahrung das Überleben zu sichern.

Wie in vielen botanischen Gärten üblich, wurden Orchideen und fleischfressende Pflanzen aufgrund ähnlicher Kulturerfordernisse auch in Schönbrunn in einem Glashaus zusammen gepflegt. Im Schönbrunner Reservegarten widmete man sich neben Klassikern wie der Venusfliegenfalle vor allem den Pflanzen mit Grubenfallen. So bestand ein eigenes Haus für Nepenthes, Kannenpflanzen, die in ihren ausgefeilten Kannenfallen die Tiere fangen, töten und verdauen. Aber auch die nordamerikanischen Sarracenien oder Schlauchpflanzen fanden Interesse. Hefka wurde auch bei den Schlauchpflanzen züchterisch aktiv und brachte einige neue hinsichtlich Musterungen des Schlauches beeindruckende Hybriden hervor. Vor allem Sarracenia × umlauftiana, eine Sorte, die Hefka nach seinem Förderer und väterlichen Freund Anton Umlauft benannte, wurde sehr bekannt und in Sammlerkreisen geschätzt. Die Tradition der Insektivorenkultur hat sich in Schönbrunn erhalten und ist heute eine der umfangreichsten und größten in Mitteleuropa.

Leider nahm das Leben dieses herausragenden Gärtners, vielleicht einer der besten je in Schönbrunn wirkenden Gärtner, ein frühes trauriges Ende. In den Wirren des Ersten Weltkriegs geriet Hefka in russische Kriegsgefangenschaft und verstarb im Dezember 1914 an Typhus. Nach Hefka konzentrierte sich die Tätigkeit der Schönbrunner Orchideengärtner vor allem auf die Bereitstellung von (Schnitt-) Orchideen für verschiedene Dekorationszwecke im Auftrag der Republik. Aber auch für private Floristen und Liebhaber des Exquisiten war Schönbrunn eine gefragte Verkaufsstelle der sonst sehr selten erhältlichen Königin. Mit Aufkommen des massenhaften Importes von Orchideen aus holländischen und asiatischen Gärtnereien Mitte der 1980er Jahre beschloss man, sich wieder mehr auf die Vielfalt und den Arterhalt der Orchideen zu konzentrieren. Die Produktion von Hybriden und Schnittware wurde zugunsten der Wildarten und alten Sorten eingestellt. Heute hat die Sammlung wieder ähnliche Ausmaße wie zu Hefkas Zeiten erreicht und beherbergt auf 1.200 m² etwa 20.000 Orchideen in über 3.000 Arten und Kultivaren.

Manfred Edlinger

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