Pflanzenliebhaberinnen und -liebhaber wissen: Durchströmt ein intensiv süßlicher Geruch ein Palmenhaus mit Wasserbecken, steht mit großer Wahrscheinlichkeit ein ganz besonderes Schauspiel bevor – die Blüte der Riesenseerose Victoria.
Ein blühender Superstar
Zu Ehren der englischen Monarchin erhielt die Riesenseerose von dem englischen Botaniker John Lindley den Gattungsnamen Victoria. „Entdeckt“ wurde sie allerdings schon ein paar Jahrzehnte zuvor: Es war der österreichische Forschungsreisende und Universalgelehrte Thaddäus Haenke, der 1801 am Río Mamoré, einem Nebenfluss des Amazonas, als erster Europäer auf die riesige Wasserpflanze gestoßen war. Zu diesem Zeitpunkt war sie der indigenen Bevölkerung seit Langem als Nutzpflanze bekannt. Die erbsengroßen Samen wurden gesammelt, getrocknet und zu Mehl vermahlen. Sie wird daher bis heute auch als Wassermais bezeichnet. Mitte des 19. Jahrhunderts fand sie dann ihren Weg nach Europa. In extra für die Kultur dieser wärmeliebenden Wasserpflanze errichteten Glashäusern wurde sie als Statussymbol kultiviert und wird bis heute als exotische Schönheit bestaunt.
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Mit ihren riesigen Blättern, die bei richtiger Gewichtsverteilung problemlos ein Kleinkind tragen können, ist die Victoria bis heute – vor allem während ihrer Blüte – ein echter Publikumsmagnet. Auch vor dem Innsbrucker Palmenhaus bildeten sich regelmäßig Warteschlangen und das Palmenhaus blieb zu ihrer Blütezeit nicht selten bis Mitternacht geöffnet. In Zeiten, in denen Fernreisen für den Großteil der Bevölkerung noch unerschwinglich waren, stellte ein Besuch im Glashaus mit seinen tropischen Temperaturen und exotischen Pflanzen einen Ausflug in eine andere, unbekannte Welt dar. Auch wenn die Zeiten des Massenansturms vergangen scheinen, fasziniert die Victoria noch immer und lockt gerade zur Blütezeit immer noch zahlreiche Menschen an.
Die Schönheit der Vergänglichkeit
Die Victoria gehört zu den Seerosengewächsen (Nymphaeaceae) und entwickelt kreisrunde und auf der Unterseite mit Stacheln besetzte Blätter. Stabilität und Schwimmfähigkeit verdanken diese einem leistenförmigen Stützgewebe mit luftgefüllten Hohlräumen auf der Blattunterseite.
Unterteilt wird die Victoria in drei Arten: Victoria amazonica (Syn. Victoria regia), Victoria cruziana (Syn. Victoria trickeri) sowie die 2022 erstbeschriebene Victoria boliviana. Während sich V. amazonica in etwas wärmerem Wasser mit etwa 32 °C wohl fühlt und bis zu drei Meter große Blätter sowie etwa 40 Zentimeter große Blüten ausbildet, bleiben die Blätter von V. cruziana mit bis zu zwei Metern etwas kleiner, ebenso die Blüte mit etwa 25 Zentimetern. Auch bei der Wassertemperatur braucht es letztere mit 28 bis 30 °C nicht ganz so warm, was wohl an ihrer Herkunft aus etwas kühleren Gefilden an der Grenze zwischen Argentinien und Paraguay liegt. V. boliviana bildet mit 3,20 Metern Durchmesser die größten Blätter aus.
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Die Blüte der Victoria ist ein kurzes, aber eindrucksvolles Schauspiel: Sie öffnet sich mit Einbruch der Dämmerung in Weiß und verströmt in der ersten Nacht einen süßlichen Duft, der Käfer anlockt. Ist ein Käfer dann in das Innere der Blüte gelangt, schließt sie sich und hält ihn bis zum nächsten Abend gefangen. Dann öffnet sich die Blüte wieder – nun in Rosarot – und lässt den Käfer wieder frei. Mit Blütenstaub bedeckt fliegt der Käfer dann zur nächsten weißen Blüte und bestäubt so die Seerose. Nachdem die Blüte das zweite Mal aufgegangen ist, schließt sie sich wieder und sinkt unter die Wasseroberfläche, wo braune, erbsengroße Samen heranreifen.
Die Kultur im Palmenhaus Innsbruck
Im Innsbrucker Palmenhaus der Bundesgärten wird in der Regel Victoria cruziana kultiviert. Begonnen wurde damit 1965, nachdem ein Jahr zuvor ein entsprechendes Becken eingebaut wurde. Anstelle eines Käfers kümmert sich hier ein Gärtner händisch um die Bestäubung. Er gibt die bestäubte Blüte in einen Strumpf, sobald sie versinkt und aus ihr eine Samenkapsel wird. So ist sichergestellt, dass man die Samen auch wiederfindet. Nach der Ernte der reifen Samen werden sie im Wasser ohne Lichteinfall und bei Zimmertemperatur gelagert. So bleiben sie bis zu zehn Jahre keimfähig.
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Im Jänner wird der so gewonnene Samen in kleinen Tontöpfen ausgesät, welche in eine mit Wasser gefüllte Wanne gestellt werden. Die Keimblätter der Victoria haben eine charakteristische Lanzettform und lassen noch nicht auf die späteren Blätter schließen. Sobald die Töpfe durchwurzelt sind, müssen die jungen Pflanzen umgetopft werden.
In der ersten Märzhälfte wird dann das Victoriabecken wieder für das Auspflanzen vorbereitet: Nach dem Reinigen werden die Pflanzenkisten aufgestellt und mit einem Substrat aus Landerde, altem abgelagerten Kuhdung, Sand und Hornspänen gefüllt. Anschließend wird das Becken mit Wasser aufgefüllt und auf 30 °C geheizt. In der zweiten Märzhälfte wird die Victoria eingepflanzt. Sie entwickelt dann alle zwei bis drei Tage ein neues Blatt, wobei jedes etwas größer wird. Ungefähr ab dem 20. Blatt erscheint die erste Blüte. Im Jahr 2018 brachte die Victoria von April bis September stolze 48 Blüten hervor.
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Die Victoria in Schönbrunn
Im Schlosspark Schönbrunn wird seit den 1890er Jahren regelmäßig eine Victoria kultiviert. In den alten Glashäusern im Holländisch-Botanischen Garten war es nicht möglich, die erforderliche Temperatur von mindestens 30 °C dauerhaft zu erreichen. Mit dem Bau des Großen Palmenhauses von 1880–1882 wurde der Reservegarten im ehemaligen Fasangarten erweitert und ein eigenes Haus mit einem beheizbaren Wasserbecken für die Victoria errichtet.
Der nicht öffentliche Reservegarten war jeweils zum Geburtstag Kaiser Franz Josefs für Besucherinnen und Besucher geöffnet. Durch die Scheiben des Victoria-Hauses konnte die Riesenseerose bewundert werden. Ein Betreten des Hauses war aufgrund des beengten Raumes nicht möglich. Anlässlich des Baus des Sonnenuhrhauses im Jahr 1904 wurde ein südlich vorgelagertes Victoria-Haus geplant, jedoch nicht ausgeführt.
Als schließlich in den 1960er Jahren der Reservegarten für die Erweiterung des Tiergartens geräumt werden musste und neue Glashäuser im Bereich der ehemaligen Kleinen Orangerie entlang der Meidlinger Fahrstraße errichtet wurden, verzichtete man dort auf den Neubau eines Victoria-Hauses.
2001 wurde schließlich auf Initiative des gärtnerischen Personals im Großen Palmenhaus ein kleiner Seerosenteich errichtet, in dem auch eine Victoria kultiviert wurde. Vor einigen Jahren entstand schließlich die Idee zum Neubau eines Wasserbeckens für die attraktive Präsentation der Riesenseerose. Das im Frühjahr 2025 neu gebaute Victoriabecken mit mehr als 20.000 Liter Fassungsvermögen und speziell abgestimmter Regulierung der Wassertemperatur bietet die idealen Bedingungen für die Kultur der Victoria sowie einen ungewohnten Einblick für die Besucherinnen und Besucher des Palmenhauses.
Sonderausstellung „Die Königin im Wasser“
Anlässlich des Neubaus des Victoriabeckens wird vom 5. Juli bis 28. September 2025 in der Sonderausstellung im Großen Palmenhaus im Schlosspark Schönbrunn gezeigt, welche Verbindung die Riesenseerose zu dem aus Böhmen stammenden Thaddäus Haenke hat, wie Pflanzen zu ihren Namen kommen, warum die Riesenseerose regelmäßig zum Käfergefängnis wird und wer den Wettlauf um die erste blühende Victoria in Europa gewonnen hatte.
Helmut Wahler und Claudia Gröschel